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Stolpersteine in in der Crumbacher Allee

Eine würdige Veranstaltung zum Gedenken an vertriebene jüdische Mitbürger

Alles war gut vorbereitet, um am Donnerstag den feierlichen Akt der ersten „Stolperstein-Verlegung“ in Fränkisch-Crumbach durch den Aktionskünstler Gunter Demnig würdig vollziehen zu können: Der Bauhof hatte das Pflaster an der „Allee 1“, wo die Steine am Seiteneingang zur ehemaligen Cigarrenfabrik Oppenheimer verlegt werden sollten, bereits ausgehoben, die Straße für den Durchgangsverkehr gesperrt und ein kleines Zelt zum Schutz vor eventuellem Regen aufgestellt. Mehr als hundert Personen waren gekommen, um durch ihre Anwesenheit das Gedenken an die ehemalige Crumbacher Fabrikantenfamilie hoch zu halten, der während der Nazi-Herrschaft im Ort übel mitgespielt wurde. Darunter – zusammen mit mehreren Lehrern der Fachschaft Geschichte – rund sechzig Schüler und Schülerinnen der Reichelsheimer GAZ-Schule, die sich seit Jahrzehnten um die Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Geschichte bemüht.

Bei seiner Begrüßung zeigte sich Bürgermeister Eric Engels erfreut darüber, dass nun auch seine Gemeinde zu dem Kreis der rund 1300 deutschen Kommunen gehört, die sich zu ihrer Vergangenheit bekennen und dies sichtbar machen, indem sie sogenannte Stolpersteine einmauern lassen vor Häusern, in denen einst jüdische Mitbewohner lebten und von dort in den meist sicheren Tod deportiert wurden. Besonders beeindruckt zeigte sich der Verwaltungschef darüber, dass die Initiative zu dieser Aktion von der Bevölkerung selbst kam, und zwar von den heutigen Bewohnern der früheren Cigarrenfabrik, unter Federführung von Nathalija Dolenc. Sie hatte auch den Kontakt geknüpft zu dem gebürtigen Crumbacher Philipp Ripper, der vor wenigen Monaten seine Examensarbeit zur ersten Staatsprüfung zum Thema „Nationalsozialismus in Fränkisch-Crumbach“ geschrieben hat und sich bereit erklärt hatte, sein Wissen mit den Besuchern zu teilen.

In seinem Vortrag schlug er einen weiten Bogen zurück in die Vergangenheit. Im Jahre 1697 sei in der Crumbacher erstmals ein hier lebender Jude erwähnt worden, wusste er. Im Lauf der Zeit wurden es mehr; allerdings mussten sie bis 1824 für ihr Wohnrecht noch „Schutzgeld“ bezahlen. Später lebten sie friedlich inmitten der dörflichen Gemeinschaft und nahmen als deutsche Soldaten auch am ersten Weltkrieg teil. Nach der Machtergreifung Hitlers jedoch wurden die Juden auch in Fränkisch-Crumbach immer mehr diskriminiert und ausgegrenzt. In der Pogromnacht im November 1938 griffen nationalsozialistische Schlägertrupps jüdische Geschäfte und Wohnhäuser an, zertrümmerten die Einrichtung und maltraitierten die Bewohner. Ruth David, Tochter von Moritz und Margarethe Oppenheimer, hat in ihrem Buch „Ein Kind unserer Zeit“ ihre damaligen Erlebnisse und die fortwährende Angst, unter der alle jüdischen Familien vor Ort leben mussten, eindringlich geschildert. Ripper zitierte daraus einzelne Passagen.

1939 wurde die Fabrikantenfamilie zusammen mit der unverheirateten Tante Ida und dem behinderten Onkel Gustav nach Mannheim vertrieben, wo Mutter Margarethe die Leitung eines jüdischen Waisenhauses übernahm – bis die Schergen sie auch dort auswiesen. Zuvor war es ihnen gelungen, wenigstens die vier ältesten Kinder außer Landes zu bringen: die zehnjährige Ruth entkam mit einem Kindertransport nach Nordengland; Hannah, ihre ältere Schwester, wurde von einer Quäkerfamilie in Südengland aufgenommen. Der älteste Bruder Ernst konnte in die USA emigrieren und Bruder Werner schaffte es nach Argentininen. Die beiden Jüngsten, Michel und Feodora, wurden zusammen mit den Eltern in das Lager Gurs in den Pyrenen deportiert, wo sie bei französischen Freunden versteckt werden konnten. Moritz und Margarethe selbst wurden von Gurs aus zunächst in ein Sammellager in der Nähe von Paris deportiert und 1942 in Auschwitz umgebracht. An sie erinnern bereits Stolpersteine vor dem früheren Waisenhaus in Mannheim. Gustav und Ida Oppenheimer, zu deren Gedenken nun Stolpersteine gesetzt wurden, übersiedelten zunächst in ein jüdisches Altersheim in Worms, wurden aber 1942 ebenfalls deportiert und ermordet.

Bevor sich Gunter Demnig ans Werk machte, um – auf dem Boden knieend – die beiden Steine einzumauern, trug er sich noch in das Goldene Buch der Gemeinde ein. Während des Akts spielte und sang die Crumbacher Musik-Gruppe Aygenart (bestehend aus der Akkordeonspielerin Vera Nitsch, dem Gitarristen Jens Horn und dem Dudelsackbläser Burkhard Horn)  Lieder aus Israel, darunter auch die Nationalhymne und den „Alles-Gute-“ Song „Masel tov“. Das Treffen endete mit einer Schweigeminute.

 

 

In Fränkisch-Crumbach wurde viel getan, um die Erinnerung an die vertriebenen jüdischen Familien wach zu halten. So haben einige Bürger schon früh Kontakt gesucht zu den Kindern der Familie Oppenheimer, die jedoch erst nach vielen Jahren bereit waren, ihre alte Heimat noch einmal aufzusuchen. Die evangelische Kirchengemeinde ließ – zusammen mit anderen Gruppierungen – 1991 gegenüber der ehemaligen Synagoge einen Stein aufstellen „zum Gedenken der verfolgten und ermordeten Juden und zur Mahnung für die Lebenden“. Eine Autorengruppe, bestehend aus Hilde Katzenmeier, Ottilie Born-Röhner, Rudhart Knodt und dem früher in Crumbach tätigen Pfarrer Dr. Stefan Kunz brachte 1994 das Buch  „Geschichte der Juden in Fränkisch-Crumbach“ heraus, das in einer erweiterten Neuauflage von 2007 weiterhin zu beziehen ist.  Viel beigetragen zum Wissen über die tatsächlichen Vorgänge während der Nazizeit hat zudem die Oppenheimer-Tochter Ruth David, die von 1996 an rund 15 Jahre lang auf Einladung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung „als Zeitzeugin“ zahlreiche Vorträge an südhessischen Schulen hielt. Im September 2012 wurde sie in London für ihre Verdienste um die Aufarbeitung des Holocausts und ihr überzeugtes Eintreten für ein friedliches Zusammenleben mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland geehrt.

 

Text und Fotos: Kirsten Sundermann

 

Stolpersteine

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